Der Reiz des Todes im Computerspiel
Chemnitz – Prächtige Farben, lebendige Grafik, volltönende Geräuschkulisse – die meiste Anziehung aber übt bei vielen Computerspielen ein archaisches Element aus: der Tod.
«Spiele ohne Tod sind langweilig», sagt Miriam Schreiter. Die 35-Jährige ist keine leidenschaftliche Gamerin. Vielmehr hat sie die Rolle des Todes beim Zocken für ihre mit «sehr gut» bewertete Dissertation an der TU Chemnitz drei Jahre lang wissenschaftlich unter die Lupe genommen.
Geist, Gespenst, Sensenmann, Friedhof, kopfloser Reiter oder auch schlichtweg als Leiche – der Tod begegnet dem Spieler in vielfältiger Form. Das betrifft nicht nur die großen und umsatzstarken Konsolen- und Computerspiele wie «World of Warcraft», «Destiny», «Battlefield» oder «Call of Duty», sondern auch so genannte Gelegenheitsspiele.
Auf diese Casual Games, die auch rasch mal während der Straßenbahnfahrt oder in der Mittagspause auf Handys oder Tablets gespielt werden können, hat sich Schreiter konzentriert. «Das ist ein neuer Forschungsbereich», erklärt die Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Interkulturelle Kommunikation.
Für ihre Forschung hat sie sich besonders ein Spiel vorgenommen: «Cursed Fates – Der kopflose Reiter» des deutschen Entwicklers
Purple Hills. Darin müssen Aufgaben gelöst und dafür versteckte Objekte (Hidden Objects) gefunden werden. Ihre Dissertation unter dem Titel «Wie kommt der Tod ins Spiel? Von Leichen und Geistern in Casual Games» hat mit 200 Seiten Romanstärke und eine interessante Erkenntnis. «Spieler von Hidden-Object-Spielen sind häufig ältere Leute über 35 Jahre und Frauen», berichtet Autorin Schreiter.
Auch insgesamt werden die Spieler immer älter. Der
Jahresreport der deutschen Gamesbranche gibt für 2018 einen Altersdurchschnitt von 36,1 Jahren an, 2017 lag er noch bei 35,5 Jahren. «Die Altersgruppe der über 50-Jährigen wächst besonders stark», heißt es in dem Bericht. Von 34,3 Millionen Gamern sind demnach 9,5 Millionen über 50 Jahre alt und deutschlandweit die größte Gruppe. Und noch einen Trend hat der Branchenverband «game» ausgemacht, der die Angaben von Schreiter stützt: 47 Prozent der Spieler sind Frauen.
So vielfätig wie die Erscheinungsformen sind auch die Funktionen des Todes. Er sei sowohl Anfang als auch Ende und immer ein Spannungselement. «Der Tod schafft Unordnung. Man stellt permanent Ordnung her», sagt die Wissenschaftlerin. Reißt der kopflose Reiter, der schon in Volkssagen den Tod symbolisiert, zum Beispiel die Brücke über einen Fluss ein, muss man einen alternativen Weg auf die andere Seite finden.
20-mal hat die Vogtländerin das Spiel durchgespielt, teils aufreizend langsam im sogenannten «close play», um die Struktur des Spiels zu erkennen. Zur Dokumentation hat Schreiter davon zwischen 200 und 300 Bildschirmfotos (Screenshots) angefertigt.
Die Faszination für den Spieler besteht nach ihrer Erkenntnis darin, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und dafür belohnt zu werden. «Der Tod als Gegenspieler, das Böse, das man besiegen muss», beschreibt die Vogtländerin die Rolle. Dabei fühle man sich als Spieler gut, weil man das Schlechte bekämpfe und dafür auch noch Anerkennung in Form von Punkten oder Auszeichnungen bekommt.
Gerade damit würden die Entwickler die Spieler vorzugsweise langfristig an sich binden. «Ein gutes Spiel ist so konzipiert, dass es den Spieler zwischen Herausforderung und Frustration hält», sagt Schreiter. Die Wissenschaftlerin mahnt: «Dann ist das Suchtpotenzial hoch.»
Für den Hersteller hat der Tod im Spiel daher einen ökonomischen Nutzen, weil mit Geld zum Beispiel Abkürzungen oder Hilfsmittel für die Lösung gekauft werden können. «Man ist nicht nur Spieler, man ist auch Kunde», erklärt Schreiter.
Laut Branchenverband wurden 2017 mit sogenannten In-Game-Einkäufen 844 Millionen Euro ungesetzt – ein Plus von 28 Prozent im Vergleich zu 2016. Inklusive Abonnements wurde die Marke von einer Milliarde Euro beim Umsatz geknackt. Es sei daher wichtig, damit nicht leichtfertig umzugehen, meint Schreiter und mahnt: «Das, was wir alltäglich tun, sollten wir reflektieren und kritisch hinterfragen.»
Fotocredits: Sebastian Willnow
(dpa)