Stress wie beim Final-Elfmeter: Was man vom E-Sport weiß
Köln – Ingo Froböse richtet sich auf und deutet auf seinen Oberkörper. Der Professor der Deutschen Sporthochschule Köln warnt: «Wenn Sie drei Stunden sitzen und keine muskuläre Kontrolle im Rumpf haben – dann sacken Sie zusammen und Ihnen fehlt die Kontrolle der peripheren Muskulatur.»
«Periphere Muskulatur» – das klingt so, wie man sich als Unbedarfter das Vokabular in einem Seminar über Reckturnen vorstellen könnte. Es geht aber um etwas anderes. Es geht um Computerspiele.
Froböse macht seine Ausführungen, während ein paar Meter weiter ein Studenten-Team in roten Trikots vor Bildschirmen sitzt. Es handelt sich um die Hochschulmannschaft im sogenannten
E-Sport. Das heißt: Computer- und Videospiele sind hier nicht nur Zeitvertreib, sie sind Wettkampf wie in anderen Sportarten. Es gibt Liga-Betrieb und Preisgelder.
In Deutschland gilt die Szene noch als Gebiet für Spezialisten. Sie drängt aber mit Macht aus der Nische. Fußball-Bundesligavereine bauen entsprechende Abteilungen auf. Eine Studie der
Unternehmensberatung Deloitte und des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) sagt dem E-Sport ein rasantes Wachstum voraus. «Es kommt wirklich auch in der breiten Öffentlichkeit an», sagt BIU-Geschäftsführer Felix Falk.
Das Thema hat mittlerweile auch das Interesse der klassischen Sportwissenschaft geweckt. Ein Kristallisationspunkt sind Froböse – Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Kölner Sport-Uni – und sein Team. Auch wenn sich an der Frage, ob Daddeln überhaupt Sport sein kann, mitunter die Geister scheiden.
Der Professor ist da sehr eindeutig. «Wir haben festgestellt, dass wir je nach Spielsituation Herzfrequenzen haben, die sicherlich einem Autorennfahrer ähneln», sagt er. Im Körper der Spieler gebe es Stressreaktionen, die mit «einem Elfmeter im Champions-League-Finale» vergleichbar seien. Zudem sei es eine Mär, dass man sich beim E-Sport nicht bewege – die Bewegungen seien nur nicht so groß. Tatsächlich seien es aber mehr als beim Schießen, Schach oder Autorennen. Hinzu kommen Taktik und mentale Stärke. «Wenn man das alles zusammen sieht, ist es für mich Sport. Es ist sogar Spitzensport», sagt Froböse.
Der E-Sport habe inzwischen durchaus mit dem traditionellen Sport vergleichbare Basisstrukturen, sagt Jörg Müller-Lietzkow von der Universität Paderborn, der auch zum Thema E-Sport forscht. «Es fehlt aber zum Beispiel an Trainingslehre, Trainerausbildung oder auch sportwissenschaftlicher Forschung.» Für einzelne Spiele gebe es Taktik- oder Teamtraining. Über physische Anforderungen oder auch die kognitiven Prozesse wisse man dagegen weniger.
Froböse will so eine Trainingslehre. «Wenn wir das aus dem anderen Leistungssport betrachten, haben die noch viele professionelle Lücken», sagt er über die E-Sportler. Stichwörter: Ernährung, Regeneration, Getränke. «Wenn Sie das «Counter-Strike»-Finale betrachten, dann saufen die in der kurzen Zeit bestimmt drei Liter Red Bull.» Auch von der schnellen Pizza zwischendurch – in der Videospiel-Szene fast ein Kulturgut – rät er erwartungsgemäß ab. «Auf keinen Fall! Die Verarbeitung von Nahrungsmitteln kostet Energie und nimmt damit Leistungsfähigkeit.»
All das führt auch dazu, dass die Karrieren vieler E-Sportler relativ schnell verglühen. Nach drei oder vier Jahren sei im Spitzenbereich oft schon Schluss, sagt Froböse. «Weil sie sich nicht aufbauen. Weil sie keine vernünftige Periodisierung ihrer Leistung machen. Weil sie nicht richtig trainieren und ihre ganzen Ressourcen wertvoll einsetzen, sind sie in kurzer Zeit ausgebrannt und verbrannt.» Heißt: E-Sportler müssten auch jenseits des Bildschirms an sich arbeiten – etwa mit Ausdauersport, um Ermüdungswiderstand aufzubauen.
Christoph Mellen, Mitglied des Hochschul-Teams hat derweil sein Training beendet. Eine Frage: Fühlt sich E-Sport für Sportstudenten tatsächlich wie Sport an? Er sagt: «Ja. Wenn es hier richtig abgeht und wir vergessen, das Fenster aufzumachen, dann sind hier auch die entsprechenden Temperaturen drin.»
Fotocredits: Oliver Berg
(dpa)