Die VR-Brille Oculus Quest im Test

By on 1. Mai 2019

San Jose – Kann es sein, dass in der VR-Industrie jemand schließlich die goldene Mitte gefunden hat? Die neue Virtual-Reality-Brille Quest der Facebook-Firma Oculus könnte der Branche und den Spielern zum lang erhofften Durchbruch verhelfen.

Die Oculus Quest hat keine Kabel, bietet trotzdem ein vollwertiges Spielerlebnis in der virtuellen Realität – und kostet 449 Euro. Genauso viel wird auch die Oculus-Brille Rift S kosten, die mit einem Kabel an einen PC angeschlossen wird und durch den Zugriff auf die leistungsstarke Grafikkarte hochwertigeres VR-Qualität bieten soll.

Der Clou an der Quest ist aber: Sie braucht überhaupt keinen PC. Auspacken, einrichten, losspielen. Facebook setzt darauf, dass sich durch die stark vereinfachte Nutzung auch viel mehr Leute für VR begeistern. Beide Brillen kommen am 21. Mai in den Handel.

Integrierte Sensoren

Die wichtigste Neuerung der Quest sind Sensoren, die direkt in die Brille integriert sind. Vier an der Zahl, erkennen sie zum einen die Position im Raum und verfolgen zum anderen die Bewegungen der Controller in der rechten und linken Hand. Die vor drei Jahren erschienene Rift brauchte noch zwei externe Sensoren. Die einfache Oculus Go aus dem vergangenen Jahr hat überhaupt keine Umgebungssensoren – eignet sich dadurch aber auch nur für Video-Inhalte oder sehr simple VR-Spiele. Die Go bleibe «vorerst» auf dem Markt, heißt es von Oculus etwas distanziert.

Den Vorteil der neuen Quest-Sensoren merkt man schon beim Abstecken des sicheren Spielbereichs – also der Platzierung der virtuellen blauen Wände. Sie sollen verhindern, dass man sich mit der Brille vor den Augen außerhalb eines sicheren Bereiches bewegt. Die Quest hat dafür eine Funktion mit dem Namen Passthrough – man sieht in der Brille die tatsächliche Umgebung und kann mit dem Controller virtuelle Linien auf dem Boden ziehen.

Das von den Sensoren übertragene Umgebungsbild erinnert an die Qualität eines Nachtsichtgeräts – schwarz-weiß und verrauscht – aber es erfüllt seinen Zweck sehr gut. Das Bild des Zimmers verlasse dabei nicht die Brille und werde mit Blick auf den Datenschutz auch nicht mit Software-Entwicklern geteilt, betont Oculus.

WLAN-Verbindung per Smartphone

Zum Einrichten der Quest muss man sie zunächst mit einem Smartphone koppeln – unter anderem, um die Verbindung zum WLAN herzustellen. Insgesamt ist man in wenigen Minuten fertig – eine schnelle Internet-Verbindung vorausgesetzt, denn die Spiele sind in der Regeln mehrere hundert Megabyte groß.

In der Quest arbeitet der Smartphone-Chip Snapdragon 835 von Qualcomm. Und das setzt Grenzen für die Möglichkeiten der Brille im Vergleich zum Betrieb über Kabel mit angeschlossenem PC beim Schwestermodell Rift oder der HTC Vive. Nutzer müssen sich auf etwas einfachere Texturen, weniger Detailreichtum und weniger komplexe physikalische Effekte einstellen. Die gute Nachricht allerdings ist: Das stört das Spielerlebnis nicht.

Dank eines verbesserten Displays und der bereits bei der Oculus Go eingeführten neuen Linsen wirkt das Bild klar und scharf und gefühlt sogar weniger grobkörnig als bei der vor drei Jahren erschienenen ersten Rift-Generation. Der sogenannte Fliegengittereffekt, bei dem man die Abstände zwischen den einzelnen Bildpunkten sieht, wirkt deutlich reduziert.

Virtueller Raum überzeugt beim Spielen

Bei einem Spiel wie «Beat Saber», in dem Spieler auf sie zufliegende farbige Würfel zum Musik-Rhythmus mit Laser-Schwertern zerschneiden müssen, ist die Illusion des virtuellen Raums so gut, dass man sich nichts besseres wünscht. Die reichhaltige Optik von Rift-Spielen wie «Stormland» oder «Asgard’s Wrath» würde dagegen die Quest hoffnungslos überfordern, räumen auch Oculus-Manager ein. Und zumindest in der Quest-Vorab-Version des Spiels «Superhot», bei dem die Action nur so schnell abläuft wie Spieler sich bewegen, waren die Gegner insgesamt merklich langsamer und damit auch harmloser als auf der Rift. Zum Marktstart sollen zunächst 50 Spiele für die Quest verfügbar sein.

Wer glaubt, ein Lüftergeräusch beim Einschalten der Quest zu hören, irrt nicht: Oculus muss den Chipsatz kühlen. Eine Akku-Ladung reicht für zwei bis vier Stunden, je nachdem wie viel Rechenleistung das Spiel dem Chipsatz abverlangt.

Auch bei der Rift S entfallen künftig die externen Sensoren. Im Brillengehäuse gibt es dafür sogar einen Sensor mehr als bei der Quest – das fünfte «Auge» wurde oben platziert, um Bewegungen zu erfassen, die über den Kopf gehen, zum Beispiel, wenn ein Spieler nach einem Schwert greift, das er auf dem Rücken trägt.

Lautsprecher statt Kopfhörer

Ein weiterer Vorteil: Man braucht keine zwei zusätzlichen USB-Ports für die externen Sensoren. Außerdem kann sich eine Rift S mit dem einen Kabel auch mit einem ausreichend leistungsstarken Notebook verbinden. Bei beiden neuen Brillen setzt Oculus auf integrierte Lautsprecher statt Kopfhörer. Wer will, kann aber einen Kopfhörer anschließen.

Mit der Verlagerung der Sensoren in die Brille musste Oculus neue Controller entwickeln: Die Ringe, dank denen die Sensoren ihre Bewegungen verfolgen, sind jetzt entsprechen oben statt vorn platziert. Sowohl die Quest als auch die Rift S haben exakt die gleichen Controller.

Quest und Rift lassen sich vernetzen

Das ist ein Zeichen der Oculus-Strategie, die beiden Geräte zu einem Ökosystem zu verbinden. Entwickler haben die Möglichkeit, ihre Programme an Quest und Rift anzupassen – «viele werden davon Gebrauch machen», versichert der für VR-Softwarepartnerschaften zuständige Facebook-Manager Jason Rubin. Und die Nutzer sollen zusammenspielen können, egal welche der drei Oculus-Brillen sie haben. «Ein paar Monate nach dem Start von Quest und Rift S wird man nicht unterscheiden können, auf welchem Gerät die anderen spielen», zeigt sich Rubin überzeugt. «Es wird ein einziges großes Multiplayer-Universum sein.»

Die Verlagerung der Sensoren stellt Software-Entwickler auch vor neue Probleme. Früher verloren die Sensoren den Sichtkontakt zu einem Controller, wenn er vorn vor der anderen Hand verdeckt wurde. Jetzt hat man denselben Effekt, wenn eine Hand über der anderen ist, zudem haben die Sensoren «Sehschwäche», wenn die Controller nah am Gesicht sind. In diesen Fällen könne man aber die Position der Controller auch aus Daten der Gyrosensoren berechnen, sagt Hardware-Manager Sean Liu. Und die Entwickler könnten sich darauf einstellen, dass die jetzt gefundenen Lösungen auf Jahre Bestand haben werden.

Fazit:

Alles in allem ist die Oculus Quest die erste VR-Brille, bei der Spielspaß die Kompromisse überwiegt, die man eingehen muss, um sie kabellos zu machen. Und das zu einem moderaten Preis. Konkurrent HTC steht mit einem ähnlichen Gerät in den Startlöchern, richtet seine Vive Focus plus mit einem Preis von 699 Euro vor Mehrwertsteuer aber auf den Unternehmensmarkt aus.

Fotocredits: Andrea Warnecke,Andrea Warnecke,Andrea Warnecke,Andrea Warnecke,Andrea Warnecke,Andrea Warnecke
(dpa/tmn)

(dpa)

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