Ist Blaues Licht Schlafräuber oder harmloser Reiz?
Berlin – Die blauen Lichtanteile, die Displays abstrahlen, scheinen manchen Menschen den Schlaf zu rauben oder sie am Einschlafen zu hindern. Kann das sein? Experten sind sich uneins.
Fest steht: Blaues Licht signalisiert uns, wach zu bleiben, erläutert Prof. Nicole Eter, Direktorin der Universitätsaugenklinik Münster. Rötliches Licht dagegen signalisiert: Es ist langsam Zeit fürs Bett – der Körper beginnt, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten.
Für blaues Licht gibt es in der Netzhaut spezielle Rezeptoren. Diese sogenannten Ganglienzellen produzieren das Protein Melanopsin. «Sie leiten die Lichtreize direkt an unsere innere Uhr», erklärt der Kölner Schlafmediziner Alfred Wiater.
Blaulicht und Schlafprobleme
Die
«innere Uhr» wiederum gibt den Impuls weiter an die Zirbeldrüse, in der das Melatonin produziert wird. «Blaues Licht unterdrückt die Melatoninabgabe und kann somit das Einschlafen verhindern», so Wiater weiter. Der daraus resultierende Schlafmangel sorgt für schlechte Stimmung, weniger Ausdauer und Konzentrationsprobleme. Langfristig bestehe bei Schlafmangel sogar ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselstörungen sowie Depressionen.
«Unsere innere Uhr läuft automatisiert und ist auf einen 25-Stunden-Rhythmus eingestellt», sagt dagegen Prof. Olaf Strauß von der Berliner Charité. «Nur damit sie exakt läuft, braucht sie ab und an den Abgleich durch das Tageslicht.» Wer abends noch mal aufs Tablet schaut, bringe daher nicht gleich seinen Rhythmus durcheinander.
Verschiedene Studien
Verschiedenste
Studien haben sich bereits mit Blaulicht und Schlafproblemen beschäftigt. «Rein wissenschaftlich gesehen ist da nicht viel dran», sagt Strauß, der die Experimentelle Augenheilkunde an der Charité leitet. Niemand habe bislang belegen können, dass der Schlafrhythmus durch Displaylicht am Abend gestört wird. Kleinere Studien seien sogar zu extrem gegensätzlichen Ergebnissen gekommen.
Und noch etwas spricht gegen die These vom schlafraubenden Blaulicht: Seit den 2000er-Jahren wird diskutiert, bei Patienten, die am Grauen Star operiert wurden, eine blaulichtfilternde Linse einzusetzen, um die Netzhaut vor schädlichem Sonnenlicht zu schützen. «Eine Meta-Analyse hat jedoch festgestellt, dass das keinerlei Effekte auf Schlaf-Wach-Rhythmen hat», berichtet Strauß.
Finnische Forscher haben 2018 Studien über den Zusammenhang zwischen blauem Licht und innerer Uhr analysiert. Sie kamen zu dem Schluss, dass zwar die Produktion von Melatonin unterdrückt wird, wenn man sich am Abend zwei Stunden blauem Licht aussetzt, diese Wirkung jedoch nur 15 Minuten anhält. Sie schlussfolgerten aber ebenso, dass auch rotes Licht Einfluss auf die innere Uhr haben kann.
Erhöhter Erregungslevel
Somnologe Wiater betont aber, dass neben dem Licht auch weitere Faktoren berücksichtigt werden müssten: «Aus schlafmedizinischer Sicht ist neben der negativen Wirkung des blauen Lichtes auch der erhöhte Erregungslevel, der mit der Mediennutzung einhergeht, ein Faktor, der Schlafstörungen verursachen kann.»
Wiater hat zusammen mit Kollegen des
Fraunhofer-Instituts für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik untersucht, ob Schichtarbeiter, die lange künstlichem Licht ausgesetzt sind, an Schlafmangel leiden. Ein Ergebnis: Kaltweißes bis neutralweißes Licht in der Spätschicht macht wacher, ohne sich negativ auf das Schlaf-Wach-Verhalten auszuwirken. Langzeitstudien sollen weitere Erkenntnisse liefern.
Laut Prof. Eter gibt es keine wissenschaftlich fundierte Empfehlung, wie lange vor dem Schlafengehen man auf blaues Licht verzichten sollte. «Es gibt heute so viele Störfaktoren, die den Schlaf beeinflussen, vielleicht sind die Menschen auch unterschiedlich empfindlich», sagt die Ärztin.
Streulichteffekte und Blendungsgefühl
Ob schlaflos oder nicht – die subjektive Wahrnehmung beim Blick aufs Display kann sich unterscheiden. «Nutzer empfinden es als angenehm, wenn das Licht etwas wärmer wird», sagt Prof. Strauß. Ursache sind Streulichteffekte. Blaues Licht wird am meisten gestreut, das kann die Sehschärfe vermindern. Das Licht trifft nicht nur die Zapfen sondern auch die Stäbchen im Auge, die erholen sich langsamer. «So entsteht das Blendungsgefühl», führt Strauß aus.
Wer sich also abends vom Displaylicht gestört fühlt, sollte aus Komfortgründen ruhig die Einstellmöglichkeiten an Smartphone, Tablet, Notebook oder Monitor nutzen. Auch der Dunkelmodus (Dark Mode), bei dem die Schrift kontrastreicher hervortritt, kann durchaus sinnvoll sein. «Auf jeden Fall ist die Schrift dann leichter zu lesen», sagt Prof. Eter. Ein Muss sei beides jedoch nicht.
Fotocredits: Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Dirk Scharf,Coelln Couleur
(dpa/tmn)