Kompakt und dabei ganz schön groß: Das iPhone X im Test
Berlin – Zehn Jahre nach dem ersten iPhone geht (am 3. November) das neue iPhone X an den Start. Die Auffälligkeiten: ein beinahe randloses Display, kein Home-Button und eine komische Einbuchtung oben am Bildern.
Auf den ersten Blick wird klar, dass es sich hier nicht um eine Weiterentwicklung der Vorgängermodelle handelt, wie beim iPhone 8. Das spürt man schon gleich, wenn man das Gerät in die Hand nimmt.
Obwohl das iPhone X von den äußeren Abmaßen im Vergleich zum iPhone 8 Plus deutlich kompakter ausfällt, hält man das größte Display in der Hand, das Apple bislang in einem iPhone verbaut hat. Die Bildschirm-Diagonale beträgt 5,8 Zoll zu bei einer Auflösung von 2436 x 1125 Pixel. Das ist möglich, weil das Display oben und unten nun beinahe ohne Rand auskommt.
Für die runde Home-Taste mit Fingerabdrucksensor war allerdings kein Platz mehr. Deshalb setzt der Hersteller beim iPhone X auf eine dreidimensionale Gesichtserkennung names Face ID. Sie lässt sich einfach und flott einrichten. Man muss wie bei einer Selfie-Aufnahme das iPhone X vor das Gesicht halten und zwei Mal hintereinander mit der Nase eine kreisförmige Bewegung vollführen. Das war es schon.
«Face ID» stützt sich nicht auf ein zweidimensionales Foto des Anwenders. Dieses Verfahren würde sich leicht überwinden lassen, wie man beispielsweise bei Samsung Galaxy S8 erfahren musste. Das iPhone X projiziert für den Nutzer unsichtbar 30 000 Bildpunkte auf das Gesicht und erfasst somit ein dreidimensionales Abbild. Das TrueDepth-System umfasst neben der herkömmlichen Frontlinse auch eine Infrarotkamera, so dass auch im Dunklen entsperrt werden kann.
Im Praxistest funktioniert «Face ID» mindestens so zuverlässig wie die Entsperrung mit dem Fingerabdruck bei den vorherigen iPhone-Modellen. Nur bei einer spiegelnden Sonnenbrille macht Face ID nicht mit. Auf fremde Gesichter reagiert das Gerät nur mit einer kurzen Vibration. Selbst eine fotorealistische Theater-Maske, die eine Reporterin des «Wall Street Journal» eigens für einen Test des iPhone X anfertigen ließ, kann Face ID offenbar nicht austricksen. 2013 konnte der Chaos Computer Club TouchID noch mit einem abfotografierten Fingerabdruck auf einer Folie austricksen. Für FaceID müssen sich die Experten etwas Neues einfallen lassen.
Die Gesichtserkennung kommt auch bei einer netten Spielerei zum Einsatz, den Animojis. In der Nachrichten-App kann man animierten Emojis wie Schweinchen, Hase, Alien, Kothaufen oder Einhorn mit seinem Gesicht Leben einhauchen, mit der eigenen Stimme sprechen lassen und als iMessage versenden. Im Gegensatz zur Entsperrfunktion funktioniert das sogar mit jedem beliebigen Gesicht. Da die Animojis als Video auf dem iPhone X landen, können sie auch in anderen Messengern wie WhatsApp verwendet werden. Auch Snapchat nutzt diese Funktion für neuartige Filter.
Einen Nachteil gibt es aber: Konnte TouchID sich noch fünf Fingerabdrücke merken, kann FaceID nur ein einziges Gesicht speichern. Wollen andere das Gerät nutzen, ist das nur über den Sperrcode möglich. Die biometrischen Daten für FaceID werden lokal auf dem Gerät gespeichert, in einem gesicherten Bereich. Wer die Gesichtserkennung nicht mag, kann sie auch einfach nicht nutzen.
Zum Entsperren des
iPhone X gehört neben dem «richtigen» Gesicht auch eine neue Wischgeste vom unteren Bildschirmrand nach oben. Damit kann man auch aus einer App auf den Home-Screen wechseln. Daran gewöhnt man sich nach kürzester Zeit. Etwas gewöhnungsbedürftiger ist die Geste, um zwischen geöffneten Apps zu wechseln. Dazu muss man bei Wischen von unten in der Mitte des Bildschirms stoppen. Auch der Aufruf den Kontrollcenters, in dem man unter anderem die Bildschirm-Helligkeit einstellen oder den Flugmodus aktivieren kann, erfordert eine Umgewöhnung, weil man dafür nun von rechts oben nach unten wischen muss.
Beim Bildschirm setzt Apple erstmals auf die OLED-Technologie, also organische, selbst strahlenden Leuchtdioden. Die Konkurrenz nutzt sie schon länger. Bei OLED-Bildschirmen fallen die Farben satter – und bei manchem Apple-Konkurrenten auch quietschbunt – aus. Auf dem iPhone X erscheinen die Farben jedoch sehr natürlich. Außerdem ist es Apple gelungen, die Farbverschiebung bei unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein kaum spürbares Maß zu reduzieren. Bei anderen Geräten zeigen sich bei veränderten Blickwinkel häufig Farbverschiebungen ins Blaue oder Graue.
Fotos und Videos werden auf dem iPhone X brillant dargestellt. Manch einer wird sich an der Aussparung am oberen Bildschirmrand stören, dort, wo die «TrueDepth»-Kamera sitzt. Im Test fällt der dunkle Bereich – von Apple-Kritikern spöttisch «the notch» (die Kerbe) getauft – schon nach wenigen Stunden kaum mehr auf. Bei der Videowiedergabe erscheinen ohnehin schwarze Ränder an den Seiten, so dass hier «the notch» keine Rolle spielt.
Damit Apps komplett in dem länglichen Bildformat dargestellt werden, müssen die Programme auf das neue System angepasst werden. Bei den eigenen Apps hat Apple das schon erledigt. Safari, Mail und die meisten anderen Apple-Apps füllten den Bildschirm komplett aus. Auch Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter und viele andere Apps sind schon vorbereitet. Google und etliche andere App-Publisher dagegen müssen ihre Apps noch optimieren. Sie erscheinen derzeit oben und unten mit einem dicken schwarzen Rand.
Wie beim iPhone 8 verbaut Apple beim iPhone X auf der Rückseite nun Glas. Damit wird es möglich, ein iPhone auch drahtlos aufzuladen, indem man es einfach auf eine Ladematte legt, ohne das Smartphone mit einem Ladekabel anzustöpseln.
Bei der Kamera kommen – wie beim iPhone 8 Plus – zwei Sensoren und Linsen zum Einsatz. Erstmals sind beide mit einem optischen Verwacklungsschutz ausgestattet. Außerdem ist das Teleobjektiv ein wenig lichtstärker als beim 8 Plus (Blende f/2.4 statt f/2.8). Bei hellem Licht ist im Alltag kaum ein Unterschied zu erkennen. Bei Kerzenschein oder wenig Licht geraten die Bilder des iPhone X ein wenig detailreicher. Spürbar besser als beim iPhone 8 fallen auch die Selfies aus, weil mit der TrueDepth-Technologie erstmals ein spezieller Porträtmodus auch für die Frontkamera angeboten wird. Damit kann man bei Selfies den Hintergrund unscharf erscheinen lassen, so wie bei professionellen Porträtfotos.
In anderen Bereichen vertraut Apple auf die Komponenten, die auch im iPhone 8 stecken. Herzstück ist der iPhone-Chip A11 Bionic mit sechs Rechenkernen. Vier davon übernehmen die Standard-Anforderungen an den Prozessor, während sich die beiden anderen Kerne ausruhen. Ist maximale Leistung gefragt, legen sich alle sechs Kerne ins Zeug. Das macht sich bei der Akku-Laufzeit bemerkbar, die im Vergleich zum iPhone 7 (rund 15 Stunden bei durchschnittlicher Nutzung) noch zwei Stunden länger ausfällt.
Ein grandioser, quasi randloser OLED-Bildschirm, eine funktionierende Gesichtserkennung, eine sehr gute Kamera: Die Hauptvorteile des iPhone X sind schnell aufgezählt. Der entscheidende Vorteil ist aber, dass man sich auf der Suche nach dem stärksten iPhone nicht mehr für die große Plus-Variante des iPhones im Phablet-Format entscheiden muss, sondern ein deutlich kompakteres Gerät auswählen kann.
Das hat alles seinen – für manche Interessenten utopisch hohen – Preis: Das iPhone X mit 64 Gigabyte (GB) Speicher kostet knapp 1149 Euro, mit 256 GB müssen sogar 1318 Euro investiert werden.
Fotocredits: Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert
(dpa/tmn)