Motorola Razr und Galaxy Z Flip im Praxistest
Berlin – Wow, das ist wie eine Rückkehr in das Jahr 2000. Nur plötzlich ist der Bildschirm hochauflösend und ein Touchscreen – und mobiles Internet heißt nicht WAP, sondern LTE.
Mit dem Razr 2019 hat Motorola jetzt einen geistigen Nachfolger seines ikonischen Klapp-Telefons Razr zur Marktreife gebracht. Doch die Konkurrenz schläft nicht.
Auch Samsung hat in der Unternehmensgeschichte einige Klapptelefone hervorgebracht, allerdings keines mit solchem Ruhm. Statt konsequent auf Retro-Look zu setzen, liefern die Koreaner mit dem Galaxy Z Flip ein optisch eigenständiges Klapp-Smartphone. Beiden gemeinsam: Der sportliche Verkaufspreis von rund 1500 Euro. Ein Vergleich.
Der äußere Eindruck
Wer sich an Motorolas Razr V3 erinnert und es mochte, schließt das Razr sofort ins Herz. Form und Proportionen sind ähnlich. Im Gegensatz zum alten Metal-Razr ist das moderne Razr weitgehend aus Kunststoff. Auf der Klappe sitzt die große Hauptkamera, außerdem gibt es außen ein OLED-Display für Selfies und Benachrichtigungen.
Der Fingerabdrucksensor sitzt unten im «Kinn» des Geräts. Das große Innendisplay faltet sich sehr elegant in weitem Bogen, so dass keine scharfe Faltkante entsteht.
Samsungs Z Flip wirkt dagegen ein wenig wie der Monolith aus «2001: Odyssee im Weltraum». Glänzend, quadratisch, geheimnisvoll. Die Außenseite ist aus spiegelndem Glas, es gibt eine Doppelkamera und ein winziges Display für Uhrzeit und Benachrichtigungen. Der Fingerabdrucksensor steckt im Sperrknopf an der Seite. Das Display faltet mit Kante, zusammengeklappt bleibt ein dünner Spalt.
Der innere Eindruck
Das Razr nutzt als Chipsatz Qualcomms Snapdragon 710 – Mittelklasse. Dazu 6 Gigabyte (GB) Arbeitsspeicher und 128 GB Speicher für Apps. Als Betriebssystem ist Android 9 installiert. Es gibt keinen Platz für Speicherkarten und auch keinen Platz für eine SIM-Karte. Das Razr setzt komplett auf die eSIM, Umsteiger müssen also erst einmal Kontakt mit dem Mobilfunkanbieter aufnehmen.
Samsungs Galaxy Z Flip hat den größeren Snapdragon 855, 8 GB Arbeitsspeicher und 256 GB Festspeicher – keine Speicherkarten. Neben dem Steckplatz für eine Nano-SIM gibt es eine integrierte eSIM.
Das ist in der Box
Das Razr legt vor mit einer aufwendigen Box mit Halterung für den aufrechten Stand des Telefons. Durch die Form soll auch der Klang der Lautsprecher verstärkt werden. In der Praxis klingt der Ton zwar lauter, aber auch blechern. Dass diese Konstruktion geradezu danach schreit, als Ladedock zu dienen, ist Motorola wohl nicht aufgefallen. Schön: Kabel und Ohrstöpsel stecken in einem hübschen Klapp-Etui.
Samsung ist beim Flip sparsam. Im Pappkarton stecken Kabel-Ohrstöpsel, Ladekabel und Schnellladegerät. Wer genau hinsieht, findet im Deckel noch eine Schutzhülle und die Gebrauchsanleitung.
Der Razr-Alltag
Nach dem ersten Wow-Erlebnis der schön klappenden Bildschirme tritt zunächst etwas Ernüchterung ein. Besonders beim Razr. Dessen Scharnier knarrt, das dicke Kinn des Telefons erschwert die Bedienung am unteren Bildschirmrand, und weil auch im oberen Teil ein Akku steckt, ist es sehr kopflastig.
Auch die Kamera des Razr bleibt – bei wenig Licht – mit langen Auslösezeiten und verwaschenen Farben häufig hinter den Erwartungen zurück. Schön: Das Außendisplay lächelt einen bei Porträtfotos an. Für Razr-Veteranen gibt es einen Retro-Modus. Er lässt das Gerät wie das Vorbild aussehen und blendet Tasten auf dem Bildschirm ein.
In Sachen Leistung schlägt sich das Gerät sonst tadellos. Der Klappbildschirm ist schön hell, groß und reagiert gut auf Eingaben. Die feine Konstruktion lässt Zweifel an der Haltbarkeit und dem Schutz gegen eindringenden Staub aufkommen. Beim Zusammenklappen hebt sich das sehr dünne Display so, dass man dahinter schauen kann.
Im mehrtätigen Test blieb aber alles heil. Der mit 2510 Milliamperestunden bemessene Akku hält bei heftiger Nutzung manchmal nicht bis zum späten Abend durch. Schade: Drahtloses Laden fehlt.
Der Flip-Alltag
Ernüchterung nach Anfangs-Euphorie auch beim Z Flip. Bis man sich etwas mehr mit dem Telefon auseinandersetzt: Denn das Z Flip lässt sich – anders als das Razr – auch halb aufklappen. So kann man die Kamera verwacklungsfrei benutzen oder ohne lahmen Arm einen Videoanruf führen. Andere Anwendungen müssen die App-Entwickler erst umsetzen. Hier schlummert Potenzial.
Der Klappbilschirm wirkt solider als der des Razr, dafür spürt man den Knick deutlicher. Auch das Scharnier wirkt stabiler und der Schutz gegen eindringenden Staub. Samsung hat aus dem Debakel mit den defekten Galaxy Fold gelernt.
In Sachen Leistung und Akkulaufzeit gibt sich das Gerät keine Blöße – auch drahtlose Ladung ist an Bord. Die Kamera gleicht der des Galaxy S10e und liefert farblich etwas übertriebene, aber ansonsten tadellose Fotos.
Spannend: die Funktion Single Take. Hier werden Fotos und Videos mit allen Kameras aufgenommen und damit verschiedene Blickwinkel und Filter kombiniert. So kann man einmal auslösen und hinterher aus vielen Aufnahmen auswählen.
Der Klapp-Faktor und sein Preis
Eines ist Nutzern beider Geräte sicher: Aufmerksamkeit. Ob in der Bahn, im Freundeskreis oder sonstwo – wo immer man sein Razr oder Z Flip aufklappt, gibt es mindestens neugierige Blicke, gerne auch mal Nachfragen. Die einen erinnern sich an ihre alten Klapp-Telefone, die anderen – meist Jüngere – feiern einfach den neuen Formfaktor.
Kommt man auf den Preis zu sprechen, endet das Gespräch meist. Interessanterweise auch dann, wenn ähnlich bepreiste Smartphones anderer Hersteller auf dem Tisch liegen. 1480 Euro verlangt Samsung für das Z Flip. Das Gerät ist über den Samsung-Shop verfügbar. Motorolas Preisempfehlung für das Razr liegt bei 1599 Euro. Wann das Razr in Deutschland offiziell verkauft wird, ist noch unklar.
Und soll ich das jetzt kaufen?
Fazit: Die Klapptelefone machen sich. Nach dem eher nischigen Galaxy Fold oder Huaweis Mate X sind Motorola Razr und Galaxy Z Flip alltagstauglich. Aber: Wer 1500 Euro für ein Smartphone auf den Tisch legt, erwartet Exzellenz in allen Bereichen – oder will zeigen, dass er oder sie 1500 Euro für ein Smartphone auf den Tisch legen kann.
Wer solide Technik will, ist nach dem ersten Eindruck mit beiden Geräten ziemlich auf hoher See. Denn wie lange sie nun wirklich halten, muss sich trotz aller Herstellerversprechen erst einmal zeigen. Samsungs Z Flip macht hier nach einer Woche Knicken und Klappen einen deutlich ausgereifteren und stabileren Eindruck. Auch Innenleben, Kameras und Akkulaufzeit sind überlegen. Letzlich erteilt das Reparaturportal «ifixit.com» beiden Geräten schlechte Noten. Die Zeit wird es zeigen.
Wer sein Klapp-Smartphone als Mode-Statement versteht, muss sich eigentlich nur entscheiden, was besser zum eigenen Geschmack oder Design-Verständnis passt: Motorolas leicht knarziger Retro-Knicker oder Samsungs schicker, schnappiger Schminkspiegel. Beide sind elegant und Zeichen von viel Ingenieurskunst. Wer sie aus der Tasche zieht, hat garantiert die Aufmerksamkeit auf seiner Seite.
Fotocredits: Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Catherine Waibel,Till Simon Nagel,Catherine Waibel,Catherine Waibel
(dpa/tmn)