Richtig Hilfe holen mit dem Smartphone
Bonn – Unfälle passieren schnell: Einmal nicht auf das Auto voraus geachtet, nur eine Wurzel übersehen oder zu lange nicht auf Warnsignale des Körpers gehört. Wenn der Notfall eintritt, ist eh nur noch wichtig, dass schnell Hilfe kommt. Und die Rettungskräfte müssen an den richtigen Ort kommen. Ruft man vom Mobiltelefon aus an, ist das oft gar nicht so einfach.
Welche Nummer hat der Notruf denn eigentlich?
In Deutschland wählt man für Feuerwehr und Rettungsdienst die 112, für die Polizei die 110. Das wissen die meisten in Deutschland. Doch dass die 112 auch EU-weit die Notdienste alarmiert, wissen 69 Prozent nicht. Das hat eine Innofact-Umfrage im Auftrag des Vergleichsportals Verivox ergeben.
Und ein Großteil der Befragten (85 Prozent) wählt den Notruf noch manuell und entsperrt dafür zunächst das Telefon, startet die Telefon-App und wählt die 112. Das ist der langsamste Weg zur Hilfe.
Wie geht das denn schneller?
Moderne Smartphones haben seit einigen Jahren praktische Abkürzungen zum Notruf eingebaut, nur kennt sie bislang gerade einmal jeder Siebte (15 Prozent). iPhone-Nutzer drücken fünfmal auf die Sperrtaste oder halten Sperr- und eine der Lautstärketasten länger gedrückt. Im folgenden Menü kann man per Fingerwisch den Notruf wählen.
Android-Nutzer müssen die Funktion möglicherweise erst aktivieren. Sie ist meist in den Einstellungen zu finden, bei Samsung etwa unter «Datenschutz & Sicherheit», bei anderen Herstellern unter «System». Google Smartphones bieten etwa nach etwas längerem Druck auf die Sperrtaste eine Notfallseite mit Notrufnummer an, bei Xiaomi-Smartphones muss fünf Mal der Sperrknopf gedrückt werden, ebenso bei OnePlus.
Auch mit den gesperrten Telefonen anderer kann man leicht den Notruf wählen. Dazu wischt man auf dem Sperrbildschirm herum, bis eine Schaltfläche mit Namen wie «Notruf» oder «Notfall» erscheint. Mit einem Fingertipp darauf kommt man zum Tastenfeld und kann die 112 von Hand eintippen.
Wie kommt mein Standort zur Notruf-Leitstelle?
Die Netzbetreiber senden beim Handynotruf schon jetzt Standortdaten an die Leitstelle. Das dient aber momentan eher zur groben Orientierung, sagt Carsten Schneider vom Deutschen Feuerwehrverband (DFV). Denn so ist nur sichtbar, in welcher Funkzelle sich ein Anrufer gerade befindet. Solch eine Funkzelle kann aber im ländlichen Raum sehr groß sein, was die Standortgenauigkeit verschlechtert. Hinzu kommt: Vom Mobiltelefon erreicht man nicht immer automatisch die zuständige Leitstelle.
Besser funktioniert das mit AML. Dahinter steckt eine Technik, die bei Notrufen automatisch die Ortungsfunktion des Smartphones aktiviert und an die Notfalldienste schickt – sogar wenn man die Ortungsfunktion eigentlich abgestellt hat. Dabei werden die Standortdaten per SMS im Hintergrund an von den Leitstellen Freiburg und Berlin betriebene AML-Endpunkte verschickt. Die Leitstellen können von diesen Servern dann die Standorte eines Anrufers abfragen.
Praktisch, wenn Anrufer ihren Standort entweder nicht kennen, oder sich aus welchem Grund auch immer nicht klar ausdrücken können. Im Netz von O2, Vodafone und der Telekom funktioniert AML schon. Auch immer mehr Leitstellen schließen sich an das System an. Stand Dezember 2019 sind rund drei Viertel der knapp 250 Leitstellen dabei. Die Standortdaten werden nicht dauerhaft gespeichert, sagt Henning Schmidtpott vom IT-Management der Leitstelle Freiburg. Nach einer Stunde werden sie aus dem System gelöscht.
AML, manchmal auch ELS genannt, muss man nicht aktivieren. Die Technik steckt theoretisch in allen Android-Smartphones ab Version 4.0. Auch iPhones sollen bald bei Notrufen in Deutschland ihren Standort senden können. Seit 2018 sind die Geräte nach
Angaben der Organisation European Emergency Number Association dazu technisch in der Lage. Ein genauer Termin steht noch nicht fest, in der aktuellen Entwicklerversion der nächsten iOS-Ausgabe 13.3 steckt die Technik schon drin.
Was kann man noch tun?
Funktioniert die Funkzellenortung nicht und auch kein AML, müssen Anrufer beim Notruf improvisieren. «Es gibt die Möglichkeit, den Standort in der eigenen Karten-App herauszufinden», sagt Feuerwehrmann Carsten Schneider. In Apples Karten-App etwa mit einem langen Druck auf das eigene Standortsymbol. Hier erfährt man auch die GPS-Koordinaten.
Für den Notfall halten manche Leitstellen auch ein Smartphone bereit, auf das Anrufer ihren Standort per Messenger-App senden können. Oder sie schicken eine SMS mit einem Link. Klickt man ihn, erfährt die Leitstelle den Standort. Vorausgesetzt, man hat Datenempfang. Ansonsten, so sagt Schneider, kennen die Leitstellen-Mitarbeiter Tricks, um etwa über Landmarken den Standort einzugrenzen.
Welche Hilfsmittel gibt es noch?
Träger einer Apple Watch (ab Series 4) können die Uhr als Sturzmelder nutzen. Erkennt das Gerät einen schweren Sturz, wählt es nach einiger Zeit ohne Reaktion automatisch den Notruf und sendet den Standort des Trägers an dessen Notfallkontakte.
Diese Notfallkontakte muss man zunächst in der Health-App des iPhones im Notfallpass hinterlegen. Hier können Nutzer auch ein Foto, Geburtsdatum, Gewicht, Medikamente oder Erkrankungen angeben. Solche Angaben erleichtern den Notfallsanitätern die Arbeit, sagt Carsten Schneider, seien aber immer nur eine zusätzliche Option.
Auch verschiedene Android-Smartphones bieten solche Notfallpässe an. Man findet sie etwa in den Einstellungen bei «Über das Telefon» und kann dort medizinische Angaben zur eigenen Person und Notfallkontakte eintragen.
Was sind denn diese Notfallkontakte?
Das sind im Telefonbuch gespeicherte Kontakte, die im Notfallpass hinterlegt werden. So wissen Helfer, wer im Notfall informiert werden soll. Diese Kontakte können auch vom gesperrten Telefon aus erreicht werden.
Außerdem kann auch eingestellt werden, dass diese Notfallkontakte beim Auslösen des Notrufs eine Nachricht erhalten, manchmal sogar mit dem eigenen Standort. Damit sich die Personen beim Erhalt solcher Nachrichten nicht erschrecken und wissen, was zu tun ist, informiert man sie vorher besser und bespricht weitere Schritte.
Auch das ist (bald) möglich – Notruf per Chat
Neben einer weiteren Verbreitung von AML soll eine bundesweite Notruf-App den Kontakt zu Feuerwehr und Rettungsdienst leichter machen. Das für Mitte 2020 erwartete Programm verbindet mit der richtigen Notrufabfragestelle, sagt Carsten Schneider. Nutzer können auch für andere einen Notruf absetzen und deren Standort angeben.
Der Kontakt zur Leitstelle wird per Chat hergestellt. Das soll die App zum einen zum Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung machen. Zum anderen sollen so auch unauffällige Notrufe möglich sein, wo ein Anruf vielleicht zu viel Aufmerksamkeit erregen würde.
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(dpa/tmn)