Was hinter dem Retro-Trend bei Multimedia-Produkten steckt

By on 3. September 2019

Berlin – Hach ja, damals … als man noch aufsprang, um den Lieblingssong im Radio mitzuschneiden, als mit selbst zusammengestellten Mixtapes noch Herzen erobert wurden, als der Bandsalat mit Bleistift und Geduld noch mal gebändigt werden konnte.

Wer in den 80er oder 90er Jahren aufgewachsen ist, der kommt in Erinnerung an die Musikkassette oft ins Schwärmen. Andere werden nostalgisch, wenn sie an den klobigen Heimcomputer Commodore 64 denken, an die erste Spielekonsole von Nintendo oder die alten Party-Bilder aus der Sofortbild-Kamera.

Totgeglaubte leben länger

All diese Multimedia-Produkte prägen schon lange nicht mehr den Massenmarkt. Streaming-Dienste wie Spotify, Smartphone-Spiele und die Digitalfotografie haben sie von dort verdrängt. Laut Daten des Bundesverbands Musikindustrie ist etwa der Umsatz mit Kassetten in Deutschland von damals schon niedrigen 13 Millionen Euro im Jahr 2009 auf unter eine Millionen Euro im vergangenen Jahr gefallen. Allein zwischen 2017 und 2018 ging er demnach um ganze elf Prozent zurück. Einzig die Schallplatte erlebt bei den analogen Tonträgern schon länger ein größeres Comeback: Zwischen 2009 und 2018 hat sich der Umsatz mit Vinyl demnach auf rund 70 Millionen Euro versiebenfacht.

Doch in der Nische haben auch Musikkassette und Co. überlebt – und erfreuen sich dort sogar wachsender Beliebtheit. So sehr, dass Start-ups und Unternehmen neue Geschäftsmodelle um sie herum aufgezogen haben – oder alte aufrecht erhalten konnten.

Kassetten auch 2019 noch in Produktion

«Wir haben uns über die Jahre quantitativ sowie qualitativ immer wieder weiterentwickelt, um der stetig steigenden Nachfrage nach Kassetten nachzukommen», sagt etwa Franziska Kohlhase vom Leipziger
Unternehmen T.A.P.E. Muzik. Dort produzieren eine Handvoll Mitarbeiter seit 2004 «Audiokassetten und Zubehör», wie es auf der Internet-Seite heißt.

Die Nachfrage käme vor allem von Bands, Labels oder Großkunden, «meist nach kleinerer Stückzahl, manchmal aber auch nach mehreren Tausend Einheiten», sagt Kohlhase. Die Kunden liefern ihre Stücke als digitale Dateien. «Diese werden auf professionellen Kopiermaschinen direkt auf großen Tonbandrollen kopiert bevor das Tonband dann in die Kassetten gespult wird.» Das garantiere eine wesentlich bessere Klangqualität als das Kopieren des Tonbands auf Kassetten.

Zwischen Nostalgie und Content der Generation Z

Das Unternehmen ist kein Einzelfall. Auch größere Player haben den Trend erkannt und entsprechende Produkte ins Angebot genommen. Die Modekette Urban Outfitters etwa, die vor allem eine junge Zielgruppe im Blick hat, verkauft in ihrem Online-Shop Walkmen, Eminem-Kassetten oder Polaroidkameras. Das chinesische Start-up Ninm sammelt derzeit Geld für die Entwicklung eines tragbaren Kassetten-Players mit neuester Bluetooth-Technik. Auf der Seite des Unternehmens wird auch eine Sofortbildkamera angeboten im Design analoger Spiegelreflex-Kameras.

Denn der Retro-Trend bei Multimedia-Produkten erstreckt sich auch auf die Fotografie. Im vergangenen Jahr seien in Deutschland 460 Millionen Sofortbildkameras verkauft worden, teilt der Photoindustrie-Verband auf Anfrage mit – mehr als vier Mal so viel wie noch 2014. «Die Generation Z, die einen großen Anteil an der Käufergruppe von Sofortbildkameras stellt, reizt diese neue Erfahrung», sagt eine Sprecherin. «Und natürlich können sich auch viele Nostalgiker für die Neuauflage des Sofortbildes begeistern.»

Die Anziehung der Wiederholung

Dabei gibt es auch ungewöhnliche Wendungen. So werden die Sofortbildkameras unter dem Traditionsnamen Polaroid inzwischen von einer Firma gebaut, die ursprünglich als Fanprojekt begann. Das «Impossible Project» formierte sich in den Niederlanden, nachdem Polaroid die Schließung der dortigen Film-Fabrik angekündigt hatte – mit dem Ziel, die Produktion aufrechtzuerhalten. 2016 brachte Impossible dann eine eigene neuentwickelte Sofortbildkamera auf den Markt. Im Jahr darauf kaufte der Haupt-Anteilseigner vom Impossible die Marke Polaroid samt des Lizenzgeschäfts.

Und auch die modernen Versionen alter Spielekonsolen wie Nintendo Entertainment System oder der ersten Playstation kommen gut an. «Knapp jeder zweite Gamer (49 Prozent) in Deutschland findet die Neuauflagen von SNES, Playstation und Co. interessant», ermittelte der Verband der deutschen Games-Branche jüngst in einer Online-Umfrage unter mehr als 2000 Spielebegeisterten. Jeder vierte Befragte habe sich bereits eine gekauft.

Originale in Kombination mit Digitalem von heute

«In erster Linie funktionieren solche Trends natürlich gut bei Konsumenten, die die Zeit selber miterlebt haben», sagt Sascha Raithel, Professor für Marketing an der Freien Universität Berlin. «Das ist auch ein psychisches Phänomen: Erfahrungen aus der Jugend werden positiver abgespeichert, als sie es eigentlich waren.» Seltener könnten solche Trends aber auch bei jungen Menschen funktionieren, die die Zeit nicht mehr unmittelbar selbst erlebt hätten. Er warnt Unternehmen aber davor, mit der eigenen Zielgruppe alt zu werden. Häufig werde übersehen, dass nachwachsende Generationen andere Interessen und Vorlieben hätten.

Wohl auch deshalb konzentrieren sich die Anbieter von Retro-Produkten vor allem auf die Fassade: Alte Spielekonsolen mögen gut ankommen, doch die Grafik von damals sicherlich nicht. Deshalb steckt unter der Retro-Plastikhülle moderne Technik. Die Spiele müssen auch nicht mehr eingesteckt werden, sondern sind auf der Festplatte installiert. Auch die damalige Klangqualität von Kassetten dürfte niemanden mehr überzeugen, und dass man einen Player mit dem Computer koppeln kann, wird dem Verkauf ebenfalls helfen. Die Originale mögen gefeiert werden, doch auf die digitalen Annehmlichkeiten von heute mag vor allem die jüngere Generation nicht komplett verzichten.

Fotocredits: Frank Rumpenhorst
(dpa)

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